Kinderlos? Kinderfrei?

„Nein, die arme Frau. Da ist sie über 50 und ganz allein!“
„Hat sie denn keine Kinder?“
„Nein!“
„Oh wie schrecklich! Aber einen Mann?“
„Auch nicht.“
„Oh Schreck! Sie ist ganz allein!“
„Niemand, der sich im Alter um sie kümmert.“
„So traurig.“
„Ja, so traurig.“
„Wie geht es eigentlich Jean-Lukas? Ist er immer noch bei denen, wie heißen die? Neo Nazis?“
„Ja :(“
„Oh, naja, kann man nix machen, die Gesellschaft, weißte eh. Die Dina-Marielle kommt mich ja auch nur einmal zu Weihnachten besuchen, so sind sie halt, die jungen Leut, kannste nix machen.“

Kinderlos vs Kinderfrei, I

Das Kinder kriegen galt bis lange in die Moderne als Altersvorsorge. Bestenfalls zehn – drei werden die Winter nicht überstehen, mit zweien verstreitet man sich, bleiben immer noch fünf andere. Nebenbei bemerkt, was man heute gerne vergisst, war das Kinderkriegen auch eine naturgebenene Konsequenz, folgte Frau artig den ehelichen Pflichten. Sex bedeutete Kinder. Bis in die 1960er und der Entwicklung der Pille.

Diese ist zwar ein Teufelszeug sondergleichen, kann aber zur Überbrückung als kleineres Übel angesehen werden, bis der Mann (als Kollektiv) gelernt hat, selbst Verantwortung zu übernehmen und nicht davon aus zugehen, die Frau kümmere sich schon darum. Und in aufgeklärten Kreisen sind wir auf gutem Weg dahin. Und förderte man Sexualkunde in Schulen, mache man Mädels begreiflich was mit Körper, Psyche und Leben nach und mit einem Kind passiert, anstatt dies mit den Worten „Ist halt so, das ist normal! Hat jede so durchlebt! Aber wenns dich nur einmal anlächelt! Ach, die Hormone regeln das schon!“ abzutun; und würde man Buben vorrechnen, was Alimente sie kosten werden und sich das getunte Auto eher schwer ausgehen wird… Es gäbe weniger Teenager-Geburten und sähe man Abtreibungen als gewöhnliche Möglichkeit an, sich eines Unfalls zu entledigen oder sei es „nur“ eine Meinungsänderung, wir hätten wenig arme Alleinerziehende und weniger Arme.

Aber was red ich denn da, die Wirtschaft profitiert von Armen.

Pro-Choice

Wie ihr wisst, bin ich für die allumfassende und auch von Kassen finanzierte Möglichkeit, dass Frauen in allen Kliniken Abtreibungen vornehmen lassen können. In Polen wurde erst kürzlich ein Gesetz erlassen, welches Frauen nun dazu zwingt, den Fetus auszutragen, selbst, wenn man weiß, dass dieser nicht Lebensfähig sein wird. Der Sinn dahinter? Sicherlich nicht jener, jedes Leben zu schützen.

Und ich könnte diese Pro-Life’er ja eher ernst nehmen, kümmerten sie sich auch danach um das Wohl des Kindes, wenn es dann auf der Welt ist, anstatt es in ein Heim zu stecken und/oder der Frau zu sagen: „Tja, Pech gehabt, hättest dich halt nicht vergewaltigen lassen müssen, zieh längere Röcke an, selbst Schuld wenn’d rumvögelst“. So allerdings muss man annehmen, dass es lediglich um Fremdbestimmung anderer geht, und zwar, die Schwangere, die das ungeborene Leben, das Kind, austragen muss, und zwar um jeden Preis. In Österreich wollte beispielsweise auch Norbert Hofer (FPÖ) eine 3-wöchige Bedenkpflicht einführen, dass die Frau ihre Entscheidung nochmal überdenken kann (muss), was eindeutig zeigt: Es ist nicht nur Fremdbestimmung, man spricht ihnen auch die Fähigkeit ab, eigene Entscheidungen fällen zu können.

Also, zusammengefasst: Pro-Lifer finden es humaner, eine Frau zu einer Schwangerschaft und Geburt mit allen physischen und psychischen Konsequenzen zu zwingen (Dammriss, Inkontinenz, Depressionen, Armut, usw.) und ihr danach zu sagen: „Ja kannst es ja weg geben“ – anstatt ihr sofort die Möglichkeit zu geben, sich dessen gleich zu entledigen, und zwei Leben damit zu schützen, nämlich das ungeborene, welches weder Erfahrungen, Gefühl noch Erinnerung besitzt und auch nicht unter (eventuellen) gewissen Umständen (bspw. aus Vergewaltigung, in Armut, labiles Elternhaus, usw.) aufwachsen muss; und ihr eigenes. Sie zu zwingen, das Kind zu bekommen und sie danach ohne Betreuungsmöglichkeiten (was uns übrigens Corona sehr gut zeigt, dass es gerade daran sehr fehlt), und Unterstützung einfach sich selbst und der Armut zu überlassen. Na eh, das ist sicherlich humaner, als der „Mord eines ungeborenen Kindes“.

Auch der Satz „Keine entscheidet sich leicht für eine Abtreibung“ ist bullshit. Spricht man mit Frauen, die bereits abgetrieben haben, sind diese oft sichtlich erleichtert. Dieser Satz führt lediglich dazu, Abtreibungen weiterhin als etwas Negatives hinzustellen. Auch die Annahme, Mutter und Kind wachsen zusammen und „irgendwie geht das schon“ – natürlich geht es irgendwie, wenn es Großeltern gibt, wenn die Beziehung stabil ist, keine finanziellen Sorgen, und, und, und. Aber wenn Frau nicht möchte, selbst wenn die könnte, ist das kein Grund, ihr eine Schwangerschaft, Geburt und Kind aufzuzwingen.

Kinderfrei vs Kinderlos, II

Ich habe erst kürzlich auf Twitter eine hitzige Diskussion darüber geführt, dass Frau bitte nicht so naiv sein und den Aussagen ihres Mannes all zu viel Glauben schenken soll, wenn dieser verspricht, sich gleich viel um das kommende Kind zu kümmern. Und wenn er sein Versprechen hält und es tatsächlich tut? Ja, also.. Soll ich jetzt jubeln?

In manchen Fällen verlässt der Mann die Frau, in manchen anderen beginnt er, Überstunden zu schieben „um die Familie zu finanzieren“, und in manchen anderen Fällen, will er nicht, weils eh Frauensache ist und das Kind sowieso über die Brust mit der Mutter eher bondet. Und manchmal „hilft“ der Mann mit. Möchte sagen, tut der Mann seinen rechtmäßigen Anteil, also nein, liebe Frauen, euer Mann „hilft“ nicht beim Aufzug, er tut, was er soll, das ist keine Sonderleistung die honoriert werden muss: „So nett! Der Vater geht mit dem Sohn auf den Spielplatz! Wie nett! So ein guter Mann!“ Nein!

Und das, ist einer der vielen Gründe, warum Frauen sich häufig gegen Kinder entscheiden. Aber sehen wir uns die Sache genauer an.

Warum entscheiden sich Frauen gegen Kinder?

Es gibt simple Gründe: Von „Ich will nicht“ bis „Ich habe Angst, vor …“ – und alle sind gleichwohl berechtigt.

Finanzielle Gründe

Stichwort: Unbezahlte Carearbeit. In den meisten Fällen, kümmern sich Frauen um den Nachwuchs, arbeiten Teilzeit („Der Mann verdient besser“), bekommen weniger Pension und landen in Altersarmut. Ja. Kinder sind für viele Frauen, besonders aus finanziell Einkommensschwachen Schichten, eine Armutsfalle. Darüber brauchen wir nicht diskutieren.

„Aber sie suchen es sich selbst aus, ob sie daheim sein wollen!“ Ja, und das ist auch in Ordnung. Jene, die zu zu 100% Eltern sein wollen (ganz gleich ob Mann oder Frau) sollen das, ohne finanzielle Einbußen können dürfen! Es geht um die Möglichkeiten – und die sind aktuell nicht Sinnhaft vorhanden. Teilzeit muss anständig entlohnt werden, Betreuungseinrichtungen müssen gewährleistet sein und wenn man für eine gewisse Zeit daheim bleiben möchte, ganz gleich wer, sollte auch das abgesichert sein. „Aber dann wird das ausgenutzt!“ Ja, es gibt immer Leute die gewisse Sachen ausnutzen, so what?

Angst und Zweifel

Keiner der populären Gründe, aber durchaus nicht zu verachten: der gesellschaftliche Druck und die Gesellschaft an sich: Der Druck, Kinder bekommen zu müssen. Eltern, Freunde, Bekannte, Verwandte, das Dorf, alle fragen sich, ja wann kommt es denn? Und irgendwann gibt sie nach. Und dann wissen es alle anderen auch besser. Und wenn etwas daneben geht, ist immer die Mutter Schuld, und erneut, alle anderen wissen es besser. Handlungen müssen immer gerechtfertigt werden: „Du gehst arbeiten? Aber wer kümmert sich um das Kind! Die Kita!?! Rabenmutter!“ oder „Du bist den ganzen Tag daheim? Wie soll das Kind da gesunde soziale Strukturen kennen lernen?“

Und damit einhergehend: Sexismus und auch Homophobie. „Aber warum trägt dein Mädchen ein blaues T-Shirt? Du kannst doch deinem Buben keinen rosa Elsa-Rucksack geben, wie soll er denn da männlich werden! Willst du, dass er schwul wird?“ Einst hörte ich, „Ich hab ja nix gegen Schwule, aber mein Kind muss jetzt nicht unbedingt schwul sein“, ist okay, Robert der du die SPÖ wählst und dich als aufgeklärten Linker siehst. Ist ok.

Die Angst vor einer Schwangerschaft und deren psychischen wie physischen Konsequenzen und Veränderungen, mit unter natürlich auch ästhetischen Veränderungen, die genau so mit adäquate Gründe sind als der Dammriss oder die Inkontinenz. Natürlich kann man all dies weg argumentieren, dass Hormone und Co das regeln werden und sicherlich auch zu einem gewissen Teil tun, trotzdem gibt es auch dazu einen interessanten # nämlich #birthrape.

Und natürlich der (durchaus berechtigte) Zweifel, ob man in diese Welt tatsächlich noch ein Kind setzen muss: Klimawandel, Krieg, Internet, usw. Damit einher gehend, die Angst, in der Erziehung zu versagen.

„Egoistische Gründe“

Die bisher genannten Gründe werden oft akzeptiert oder zumindest wird mit einem Auge darüber hinweg gesehen. Folgende Gründe, werden oft nicht akzeptiert:

Es ist einfach kein Wunsch da. Oft spielen Gesellschaft, Umgebung und Erziehung eine große Rolle, ob nach der Ausbildung nach einem Mann gesucht und ein Kind gezeugt wird. Auch hier gibt es einen guten Hashtag: #regrettingmotherhood. Aber eigentlich bleibt der tatsächliche Wunsch aus und man folgt vielleicht lediglich dem Vorbild anderer oder dem Wunsch des Mannes, der seine zwei Buben möchte, zwei Mädchen bekommt, aber trotzdem legitim wieder mit Lego spielen darf/kann.

Das Gefühl „da sein zu müssen“ und die nächsten 20 Jahre gebunden zu sein. Übrigens auch ein Grund, warum sich manche Frauen gegen das Stillen entscheiden, da sie das Gefühl haben, ihr Körper gehöre nicht mehr ihnen, sondern lediglich dem Kind.

Und dann natürlich der „egoistischste“ Grund von allen: Ein Kind raubt Zeit, Geld und Nerven und manche Frauen, so auch ich, sind nicht bereit diesen gesellschaftlichen wie konservativen Narrativen nachzukommen, die so lange für eine Frau als Überlebensnotwendig galten. Finde einen guten Mann, der dich umsorgt, oder du fällst deiner Familie zur Last. Sei hübsch, und nicht klug, die Männer mögen das nicht; stich andere Konkurrentinnen aus und plane gut; bekomme Kinder, die dich im Alter umsorgen – der wohl noch egoistischerer Grund überhaupt Kinder zu bekommen, neben der egoistischen und nicht minder narzisstischen Denkweise, man müsse die eigenen Gene weiter geben.

Hab ich was vergessen?

Kinderfrei vs Kinderlos, III

Das von „Kinderlos“ aber nie von „Kinderfrei“ gesprochen wird, trägt sicherlich mit dazu bei, die Idee, eine Frau oder ein Paar könne ohne Kind leben, sei seltsam. Ein Mann ohne Kind? Gib es zu lieber Leser, liebe Leserin, das klang jetzt weniger schlimm, nicht? Dieser wird eher akzeptiert und liest sich auch eher harmloser, nicht? Gebt es zu. Die Idee, dass die Frau ohne Kind ist, als der Mann ohne Kind, ruft in euch eine gewisse Regung hervor. Gebt es zu. Aber keine Sorge, das ist nur anerzogen. Ihr könnt dieses anerzogene Denken überlisten und sie aktiv hinterfragen: Warum? Warum finde ich, dass eine Frau ein Kind haben sollte, aber der Gedanke an den Mann ohne Kind wiegt weniger schwer, und warum wiegt der Gedanke des („armen“, ja oft auch „unfähigen“) alleinerziehenden Vaters (weil Rabenmutter oder tote Mutter) schwerer als das eh schon bekannte Bild der alleinerziehenden Mutter (weil selbst schuld und/oder Kerl abgehauen). Ihr seht worauf ich hinaus will?

Nehmt eure Ideen und Vorstellungen die ihr habt, auseinander. Hinterfragt sie!

Konklusio

I know, ich habe hier sehr viele Themen angesprochen und viele werden wohl nicht mit allen d’accord gehen, aber ganz gleich, solange ich euch etwas zum Nachdenken anrege, habe ich meinen Teil vollbracht.

Und wenn ihr in geselliger Runde beisammen seid: Fragt doch mal warum jemand ein Kind möchte – und nicht, warum nicht. Die Antwort wird neben „Altersvorsorge“, „Gene weiter geben“ immer „Weil ich will“ sein, und selten „weil ich hoffe, dass mein Kind die Welt zu einem besseren Ort machen kann.“

Mic drop. k4tze ab.

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