18. Mai 2017 · 11:20
Über kurz oder lang findet sich der Kern der Wahrheit. Der Kern der Sache muss kurz gehalten werden. Kernig wird in aller kürze erzählt. Die Spanne an Wortwitzen, die sich aus dem aktuellen politischen Debakel in Österreich finden lassen, ist unendlich. Wie der eine oder andere vielleicht mitbekommen hat, steht Österreich wieder einmal politisch vor einem Dilemma: Der Vize-Kanzler sprang ab und Außenminister Kurz zieht Neuwahlen in Erwägung mit 7 Bedingungen und eigener Liste. Hofer meinte sogar, es handle sich um eine Staatskrise! Bei Verlaub, Mr-You’re-Not-President: Venezuela hat eine Staatskrise, Österreich hat ein Kasperltheater.
Und so schlug man mir die Loswahl vor, genannt Demarchie. Eine Gruppe, via Loswahl, zusammengewürfelt aus allen Schichten als Entscheidungsträger über Investitionen und Gesetze. Menschen aus dem Volk. Menschen, wie du und ich. Menschen aus dem wahren Leben. Und so wie sich das anhört, ist das gut! Und ja. Ist es! Aber die Umsetzung könnte sich etwas schwieriger gestalten als manch einer annehmen möchte – oder auch nicht; und da ich nicht anders kann, als das durchaus gute Konzept in einer Parodie zu simplifizieren, greife ich auf Klischees zurück: Die Loswahl entscheidet sich für den rechtsextremen Georg, die 6fache Mutter Barbara, den Pensionisten Gunnar, die Philosophiestudentin Annika und den Hipsterhippie Moskul.
Diese fünf Menschen, wie das Leben sie kennt, wie wir sie kennen und wie RTL und Arte sie uns seit Jahren medientauglich Nachmittags überspitzt serviert hat, werden über unterschiedliche Dinge und Themen diskutieren und darüber abstimmen.
Mindestsicherung / Bedingungsloses Grundeinkommen: Ja/Nein?
Der rechtsextreme Georg ist dagegen: ein jeder solle arbeiten, sowieso werde die Mindestsicherung beziehungsweise das Bedingungslose Grundeinkommen nur ausgenutzt. Pensionist Gunnar sieht das ähnlich, schließlich hat er fast 50 Jahre für den Staat gearbeitet und er sieht nicht ein, warum jemand fürs nichts tun bezahlt werden sollte. Mutter Barbara ist dafür. Ohne Mindestsicherung säße sie auf der Straße
„Ja hättest nit so viel gworfen!“ ruft Georg dazwischen. Barbara wurde mit 17 ungewollt schwanger, behielt das Kind, der 20jahre ältere Michael machte sich nach der Geburt aus dem Staub. Kind ja, Verantwortung nein. Die anderen kamen ebenfalls unerwartet, aber Leben ist leben. Pensionist Gunnar sieht das gelassen, seine Rosi habe schließlich 8 gesunde Buben zur Welt gebracht.
Philosophin Annika ist ebenfalls dafür: Ein jeder solle die Freiheit haben zu entscheiden, was er tun und wie er arbeiten möchte und dürfe nicht durch die Leistungsmaschinerie verbraucht werden. Hipsterhippie Moskul weist darauf hin, dass zusätzlich zur 30h Woche, einerseits ausreichend Zeit für die Freizeit bliebe, was glücklichere Menschen bedeute, und andererseits auch zum Konsum, denn der bewusste Österreicher kauft dann mit dem Geld, über das er nicht zweimal nachdenken muss, beim heimischen Bauern ein, der zwar teurer aber dafür qualitativer ist – und bringt somit die heimische Wirtschaft in Aufschwung. Philosophin Annika stimmt dem zu. Passt. Beschlossen. 1500 Netto (statt Brutto) für alle.
Öffentliche Krankenhäuser sollen Abtreibungen anbieten: Ja/Nein
Barbara ist dagegen. Mord! Auch Georg ist dagegen, schließlich ist es die Pflicht einer Frau zu gebären. Annika weißt darauf hin, dass manche Frauen nicht gebären wollen und Georg beschimpft sie als verblendete Feministintussi die von Alice Schwarzer „gebrainwashed“ wurde. Schlimmer noch, es sei eine Intrige der Grünen, die heimlich mit dem Islam zusammen arbeiten, um den weißen Mann auszulöschen! Georg redet sich in Rage und klopft auf den Tisch. Gunnar ist auch dagegen. Kinder seien das Gold der Erde. Immerhin hat seine Rosi 8 gesunde Buben auf die Welt gebracht. Er schwelgt in Erinnerungen.
Hipster Moskul spricht sich wie Annika für die Wahl zur Abtreibung aus, denn ein jeder solle selbst bestimmen können, ob und wann er Kinder haben möchte. Beide plädieren für bessere Aufklärung und Gratisverhütung, Frauen wie Männer. Damit beschlossen: Keine Abtreibung an öffentlichen Spitälern. Derzeit ist die Lage so, dass der Abbruch innerhalb der ersten drei Monate straffrei ist. In Tirol und Vorarlberg bieten nur Privatärzte einen Abbruch an.
Gleiche Entlohnung bei gleicher Beschäftigung unabhängig vom Geschlecht: Ja/Nein?
Georg ist dagegen, er ist der Meinung Frauen seien körperlich schwächer, und fallen häufiger wegen Menstruationsbeschwerden aus und könnten schwanger werden, deswegen sollen sie sich erst beweisen und sowieso weniger verdienen. Annika ist empört. So auch Gunnar. Seine Rosi hatte mehr Holz gehackt als er. Außerdem habe sie ihn ständig mit dem Nudelholz verdroschen wenn er betrunken heim kam. Die gute alte Zeit. Er ist für gleiche Entlohnung. Auch Barbara stimmt dafür, fürchtet aber, dass Frauen, die dann mehr verdienen, keine Kinder mehr in die Welt setzen und die Welt dann traurig wird. Sie fürchtet auch, dass die Kinder dann darunter leiden. Annika versichert ihr: durch den beschlossenen Mindestlohn ist es möglich geworden, dass abwechselnd Vater oder Mutter daheim bleiben können, und jeder die Möglichkeit hat, sich zu entscheiden. Sie stimmt dafür. Währenddessen stillt sie Cosimos, Georg schaut angewidert zu. Frauensachen gehören nicht in die Öffentlichkeit, sagt er. Auch Moskul stimmt dafür, immerhin ist er Feminist. Damit beschlossen: Gleiche Entlohnung, unabhängig der Geschlechter.
Kopftuchverbot: Ja/Nein?
Georg haut den Tisch: „Islamistenpack! Terroristen! Alle!“ Und stimmt für ein Verschleierungsverbot. Philosophin Annika weißt darauf hin, dass das Thema komplex ist. Sie fügt bei, dass bevor man überhaupt über so etwas abstimme, sich bewusst sein soll, dass viele Frauen in vielen Ländern gezwungen werden, das Kopftuch zu tragen. Religionsfreiheit sei in Ordnung, aber man müsse die Gesamtsituation im Auge behalten. Sie stimmt gegen ein Hidschab-Verbot, aber wenn, dann für ein Burka-Verbot. Georg, der rechtsextreme Feminist, pflichtet ihr frei. Niemand darf unsere Frauen unterdrücken! Barbara sagt, sie fühle sich bedroht und findet, Frauen werde die Freiheit genommen. Sie stimmt für ein Verbot. Annika gibt ihr recht, dass das Kopftuch auch für häusliche Gewalt und politische Zwecke instrumentalisiert werde. Moskul hakt sich ein: Gegen ein Verbot, solle jeder tragen was er will! Gunnar blickt verträumt. Er erinnert sich an seine 20 Jahre ältere Geliebte Hildegard, die umwerfend im Kopftuch aussah. Zu seiner Zeit, so erzählt er, hat man das Kopftuch getragen, weil man sich nicht so oft die Haare waschen konnte, schwierige Zeiten warens. Er hat ihr dann eines aus Seide gekauft, und sie sah umwerfend aus. Als es zur eigentlichen Abstimmung kommt, stimmen Georg und Barbara dafür, und Annika, aber erst nach zögern, wie Moskul dagegen. Gunnar starb derweil am Herzinfarkt. Die Erektion, die er durch die Erinnerung an seine frühere Geliebte bekommen hatte, war zuviel für sein schwaches Herz. Er lächelt.
Die Angst geht um sich: Wer wird der 5. im Bunde? Wer wird gewählt? Russische Hacker werden engagiert um die Wahl zu sabotieren, die Lose werden gefälscht und das Papier löst sich auf. #papergate wird zum Wort des Jahres gewählt. Österreich versinkt derweil in Chaos und man liebäugelt mit der Monarchie in Großbritannien. So ein nettes Königspaar, na so lieab, na so nett, schean gell? Man überlegt die Wiedereinführung der Monarchie. Die letzten verbliebenen und untergetauchten Habsburger melden sich. Nach und nach kriechen auch andere stigmatisierte Adelsträger aus ihren Höhlen. 200 Jahre später: Kaisertum Österreich! Und da Österreich gänzlich dem Königswahn verfallen war, verschlief es auch das erwachen der fliegenden, menschenfressenden Katzen! 300 Jahre später: Es gibt kaum mehr Menschen, da sie alle von fliegenden Katzen gefressen wurden.
Versteht mich nicht falsch, ich finde die Idee großartig per Los die Entscheidungsträger wählen zu lassen, aber vermutlich käme genau so wenig dabei heraus, wie jetzt. Oder auch nicht? Vielleicht sollte man es auf einen Versuch ankommen lassen?
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