„Jetzt machst du dir aber Feinde…“
„I know!“
Madame (8) führte sich einen Podcast zu Gemüte, in welchem kritisiert wird, dass in einem Buch über eine Trans-Person erwähnt wird, dass sie gerne Harry Potter mag, weil das Trans-Personen triggern (wir erinnern uns an die Aussagen von JK Rowling) und verletzten könnte und daher respektlos sei.
Gleich zu Beginn stellt sich die Frage: Muss man den Künstler von der Kunst trennen. Oder, darf ich Hitlers Kunst an der Wand hängen haben, weil mir seine Bilder gefallen, obwohl ich den Mann verabscheue? Zu derb? Okay. Darf ich weiterhin Harry Potter-Fan sein, die Charaktere nett finden, die Geschichten mitreißend, obwohl JK Rowling sich transfeindlich geäußert hat?
Und wie es immer ist: Es gibt keine universelle Antwort, denn jeder (bla bla) muss für sich die Grenze ziehen (bla bla). Na eh, bla bla. Aber! Und hier stehe ich, gemeinsam mit der geschätzten Madame (8): Es ist doch nicht unmoralisch ein Buch einer Autorin zu lesen, die sich Jahre später transfeindlich äußert. Lolita, beispielsweise, eines der besten Bücher aller Zeiten, geschrieben 1955 – in welchem ein, sich im mittleren Alter befindender Herr, sexuelles Interesse an einer 12 jährigen zeigt.
Next Topic, dass unsere Kultur generell pädophile Ausrichtungen hat, ist offensichtlich: Gewollt werden jung aussehende, faltenlose, reine und vor allem auch haarlose Frauen (Nichts gegen die eigenen Präferenzen wie man Aussehen und sich anfühlen will, aber(!), dass (oft) Männer dementsprechende „Beauty Standards“ quasi verlangen, ist durchaus problematisch. Oder was gefällt noch? Runder Kopf, große Augen, Schmolllippen. Jap. Ihr erkennt das Problem, oder? Und „Teen-Porn“ macht das ganze nochmal extra cringe. Aber gut. Zurück zum Eigentlichen.
Trigger Warnungen
Sie erzählt weiter, dass in der Kritik gesagt wird, dass es eine Triggerwarnung geben hätte müssen, weil die Hauptperson viele Szenen hat, in welcher sie isst und das für Menschen mit Essstörungen problematisch ist.
„Triggerwarnung, Essen.“
„Triggerwarnung, Nacht. Es ist ist dunkel.“
„Triggerwarnung, Disco, Bar.“
„Triggerwarnung Krebs; ihr Sternzeichen war Krebs.“
Seriously? Manches geht zu weit. Auf TikTok wollte GenZ (die heutigen 20jährigen) Eminem canceln, weil, ja, seine Texte halt. Dann aber bitte Konsequent und sämtliche Kunst, Literatur, Film und Musik vor 2021 canceln und Kanye West gleich dazu, und überhaupt, what?
Madame (8) meinte, sie fände es traurig, etwas lächerlich zu finden, weil man es ja gut meinte. Ja, gut gemeint ist halt auch nicht immer geholfen. Die Dritte im Bunde, die auf diesem Blog noch keinen Namen hat, meinte, sie fände es in Ordnung, wenn am Anfang des Buches, wie bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln, gewisse Trigger aufgelistet seien.
Okay. Kann man stehen lassen. Madame (8) meinte dann, dass Triggerwarnungen aber auch Spoiler sein könnten.
Und ja. Es nervt mittlerweile, dass nie genug ist. Sexuelle und häusliche Gewalt? Kindesmisshandlung? Extreme Drogenexzesse? Passt. Bin ich sofort dabei. Aber, wenn ich – wie die dritte im Bunde sagte – eine Phobie vor Gabeln habe, dann kann ich nicht erwarten, dass die Welt darauf Rücksicht nimmt. Und natürlich gehört es dazu, damit klar zukommen, andere vielleicht ungewollt zu verletzen, genau so wie Verletzte damit klar kommen müssen, dass Person X dies nicht als persönlichen Angriff gemeint hatte. Manche Dinge sollte man aushalten, und wenn nicht, dann ist das auch in Ordnung, aber dann muss man sich eben damit auseinander setzen; aber, wie bereits gesagt wurde, zu erwarten, dass alle Welt auf alle Phobien Rücksicht nimmt, ist etwas übertrieben.
Schreiben, aber aus welcher Perspektive?
Es wird auch kritisiert, dass die Trans-Person, die beschrieben wird, sich in ihrem Körper vor dem Outing unwohl zu fühlen und unglücklich zu sein, weil das zu stereotyp ist.
Okay. Haltet ein, liebe Freunde der Leserschaft. Das hier ist ein besonders wichtiges Thema: Schreiben, berichten, beschreiben – aus der Sicht anderer. Ein einfaches Beispiel:
Zurecht wird männlichen Autoren vorgeworfen, Frauen lediglich sexualisiert und dem male gaze entsprechend zu entwerfen und, ja, ihr werdet es ahnen, weiblichen Autorinnen wird vorgeworfen, Männer dem female gaze entsprechend zu skizzieren. Okay, sei berechtigt. Aber sehen wir uns den Inhalt der Kritik an.
„Ihre Brüste waren prall und wohl geformt, ihr Hintern einem Pfirsich gleich, ihre elfenhaften Bewegungen tanzten sanft und geschmeidig im Takt ihrer Atmung, ….“
Im Gegenzug zu: „Er war aufmerksam und ehrlich, mitfühlend und sanft.“
Mitfühlende, feministische feminine Männer sind (also) unrealistisch, sagt die männliche Kritik. Ob ihr einen an der Waffel habt, hab ich gefragt! Und kommt mir nicht damit, dass jede zweite Frau einen muskeligen Mann beschreibt. Und selbst wenn – wie viele Filme von Männern gibt es, in welcher der Hauptdarsteller ein muskeliger Mann ist. Also lösch deinen Kommentar gleich wieder, Jonas.
Dein kritisierter female gaze, sollte eigentlich kein female gaze sein, sondern Normalität, Christian!
Aber die Problematik greift durchaus weiter:
Darf man nur mehr autobiografisch schreiben? Und diese Frage dehnt sich auch auf den Schauspielbereich aus: Darf eine nicht behinderte Person, eine behinderte Person spielen? Natürlich, es geht um Sichtbarkeit: Bevor eine nicht behinderte Person ein Buch verlegt, in welcher sie in der Ich-Perspektive eine behinderte Person beschreibt, sollten Bücher von tatsächlich Behinderten verlegt werden. Und bevor eine Cis-Mann, eine Transfrau spielt, sollte man die Transfrau casten, ja, sehe ich zu einem gewissen Teil auch so: Aber warum nicht beides? Die Argumentation führt, erneut, der Sichtbarkeit-wegen dahin, dass man Minderheiten zuerst Aufmerksamkeit geben soll, bevor andere Mimen wieder selbst die Bühne betreten dürfen.
Ich frage erneut: Darf man nur mehr autobiografisch schreiben? Madame (8) meint dazu: „Ich versteh schon den Punkt mehr direkt Betroffenen zuzuhören, aber dass Leute nur noch über Dinge schreiben die sie selbst erlebt haben würde doch Literatur total einschränken.“
Eben!
Zusammenfassung
Je nachdem in welcher Bubble man sich befindet, und die Algorithmen sämtlicher Social Media Kanäle kennen uns besser als wir uns selbst, bescheren uns ähnlichen Content. Manchmal rutscht der eine oder andere Kommentar durch, was uns Anlass zur Diskussion, Lästerei und Freude (oder auch Ärger) bereitet und natürlich mit einer gänzlich anderen Sichtweise konfrontiert; denn alles was nur einen Milimeter von unserer eigenen Wahrnehmung, Meinung und Erfahrung abweicht, muss falsch und „vollkommen anders“ sein.
Es gibt auf diese Problematik („Aber wo ist das Problem Rücksicht zu nehmen?“ – „Soll ich mit den Fingern essen, weil du eine Gabel-Phobie hast, Anne?“) und Fragestellungen kein richtig oder falsch. Gewisse Themen, ja, dass sehen wir alle ein, gewisse andere Themen, da rollen wir mit den Augen. So what?
Woher kommt dieser Drang allen anderen ihre Dingens aufzwingen müssen. Mit meiner Gabel-Phobie erwarte ich, dass alle anderen darauf Rücksicht nehmen, was soll das? Nein, Anne, prinzipiell muss ich auf gar nichts Rücksicht nehmen, außer auf mein eigenes Wohlbefinden – und wenn dies, passiv, dich verletzt, weil ich Arielle-Fan bin und auf meinem T-Shirt eine Gabel abgebildet ist, dann ist das so. Ja, ich verharmlose, simplifiziere, versuche aber auch ein klein wenig Bewusstsein zu schaffen, wie [bitte passendes Adjektiv einsetzen] manches ist. Und ja, Anne, wenn deine Eltern dich mit einer Gabel gequält haben, dann ist dein Kommentar bei einem Therapeuten besser aufgehoben, als im Netz.
Danke für die Aufmerksamkeit.